Şura Görmüş
— Graphic Designer


Şura Görmüş (@sura.grms) ist eine Kommunikationsdesignerin aus Wiesbaden. Neben ihrem Job als Grafikdesignerin erstellt sie regelmäßig einen etwas außergewöhnlichen Kalender: Einen bilingualen Kalender auf Deutsch und Osmanisch, den sie je nach Anfrage produziert.

Wie bist du auf Grafikdesign gekommen?    
    Meine Wunschvorstellung war immer Werbungen für Autos zu gestalten. Sie waren das perfekte Beispiel dafür, wie gute Kommunikation in Sekundenbruchteile erfolgen kann. Das faszinierte mich, denn ich wollte etwas kommunizieren. Ich wusste zwar noch nicht, was ich in die Welt hinaus tragen wollte, aber mir war es wichtig, dass ich dafür nicht nur ein einziges Medium zur Verfügung habe.
    Daher schätze ich mich glücklich, dass ich zum Studium des Kommunikationsdesigns zugelassen wurde. Denn die Hochschulen in Deutschland sind sehr streng bei der Aufnahme von neuen Designstudent*innen. Ich wollte nie in Berlin studieren. Ich habe mich dann gezielt für die Hochschule in Mainz entschieden, weil sie mir am besten zugesagt hat.

Was hätte die Şura gemacht, wenn sie nicht Design studiert hätte?    
   Damals hatte ich nie einen Plan B. Ich sagte zu mir: Entweder studierst du Kommunikationsdesign oder du studierst Kommunikationsdesign. Ich habe tatsächlich zwei Jahre lang versucht, einen Studienplatz zu bekommen. Ich habe durchgehend an Mappen gearbeitet, mit denen ich mich an verschiedenen Hochschulen beworben habe.
     Vermutlich hätte ich ein anderes Studium aufgenommen und würde verbittert im Vorlesungssaal meine Zeit absitzen. Müsste ich genau jetzt einen Plan B erstellen, hätte ich eine Ausbildung zur Maßschneiderin begonnen.

Woraus ziehst du deine Inspiration bei deinen Arbeiten?
     Ich musste vor kurzem alle meine Mappen, die ich erstellt hatte, vor einem Wasserschaden im Keller retten. Dabei habe ich sie mir nochmal angeschaut und mir ist aufgefallen, dass ich vor dem Studium viel mit „orientalischen“ Kunstwerken gearbeitet habe. Im Studium hat das dann aufgehört. Gerade anfangs habe ich mich bewusst gegen den „orientalischen“ Einfluss in meinen Arbeiten entschieden. Ich habe mir selbst eine Barriere aufgebaut. Denn ich war die einzige BIPoC in meinem Semester und wollte nicht als die „Exotische“ auffallen und nur auf meine türkische Kultur reduziert werden. Meine Bewerbungsmappen waren beispielsweise geprägt von Collagen aus Zeitungsberichten über Moscheen in Deutschland. Das islamische Leben hat also eine große Rolle gespielt. Dazu kam aber noch zusätzlich meine eigene kreative Note. Ich habe mich zum Beispiel bewusst für die Darstellung meiner Werke in schwarz-weiß entschieden und nicht in den typischen orientalischen Farben wie grün oder rot.
    Fotografien und Reportagen, die ich beobachtet habe, haben mich sehr geprägt. Aber auch Erinnerungen aus meiner Kindheit, die ich beispielsweise im Urlaub gesammelt habe. Ich war schon immer neugierig für Geschehnisse um mich herum. Ich habe sehr früh angefangen, alles Ästhetische zu sehen, zu beobachten und zu sammeln. Es war also vielmehr Eigeninitiative als „Mitgift“ meiner Eltern. Als Familie haben wir unsere Sonntage nicht in Museen verbracht. Meine Begeisterung für solche Orte kam also von mir selbst heraus. Ich denke, dass viele Menschen der Diaspora dieselbe Erfahrung in ihrer Kindheit gemacht haben. Als ich mal ein Kunstmuseum in Frankfurt besucht habe, teilte mir ein Mann seine Freude mit, mich hier zu sehen. Wir sind also in diesen Kreisen und Räumen nicht sichtbar. Dieses Selbstbewusstsein haben wir bis heute nicht. Viele Kinder der Diaspora traten erst in der Schule in Kontakt mit solchen Einrichtungen.
    Mit Kunst bzw. schönen Sachen kann man sich allerdings auf jede Art und Weise beschäftigen. Ein Museumsbesuch ist da kein Muss. Wenn wir uns die Generation unserer Eltern anschauen, wird das deutlich. Sie schätzen die schönen Dinge vielmehr, weil sie persönliche Opfer verlangen und nicht, weil sie nur schön sind.

Wie kamst du auf die Idee einen Kalender zu erstellen und wieso osmanisch? Welchen Bezug hast du zur osmanischen Sprache?    
In meiner Kindheit lernte ich im Koranunterricht die sorgfältige Rezitation des Korans. Dafür bekamen wir ein kleines Heft mit den Regeln in die Hand gedrückt, das im Grunde genommen wie ein Zine war. Wir lasen da rein. Die Aussprache der Wörter klang wie Türkisch, aber geschrieben waren sie in arabischer Schrift. Hier kam ich also zum ersten Mal mit diesen Buchstaben in Kontakt.
    Die Neugier auf den türkischen Buchstabenwechsel im 20. Jahrhundert, brachte mich dazu, mich näher mit der osmanischen Sprache zu beschäftigen. Ich habe immer noch eine Vorliebe für osmanische Namen. Eines meiner zukünftigen Kinder würde ich gerne Hanzade nennen. Dass die deutsche Aussprache den Namen verzerren wird, ist mir dabei egal. 
    Bei meinen Arbeiten am Kalender hat mir der türkische Kanal TRT 2 viel Inspiration geliefert. Dort habe ich mal in der Sendung Eskici einen osmanischen Kalender gesehen und kam so auf die Idee.

Wie sieht dein Work Space und die Arbeitsatmosphäre dabei aus? Welche Musik läuft dabei im Hintergrund?
    Ich arbeite am liebsten im Wohnzimmer und trinke dabei keinen Kaffee, da ich es leider nicht vertrage. Ich arbeite gerne mit orientalischen Klängen im Hintergrund, aber mittlerweile höre ich nicht mehr so viel Musik wie früher.

Wie bist du bei der Gestaltung der Plakate vorgegangen?
    Ich habe mir erstmal die westlichen Kalender angeschaut. Ich war auf der Suche nach mehrsprachigen Kalendern, die ich einfach nicht gefunden habe. Ich fand es völlig absurd, weil jedes Kind im Grunde genommen mehrsprachig aufwächst. Sei es von zu Hause aus oder in der Schule. Ich hatte also gar keine Vorlage. Letztendlich war ich froh darüber, da ich die Gestaltung des Kalenders ohne äußere Einflüsse durchführen konnte.
    Ich habe mich schließlich für ein simples Design entschieden. Dabei habe ich mich vor allem von den meistverkauften Kalendern auf dem Markt inspirieren lassen. Anschließend musste ich technische Fragen klären. Denn das Arbeiten mit den arabischen Buchstaben und Zahlen am Computer war dann doch eine Umstellung für mich. Ich vergleiche es immer mit dem linksspurigen englischen Verkehr. Die gewohnt Richtung der Schreibweise ist nicht mehr dieselbe. Da man im Arabischen von rechts nach links liest, musste ich also auch meine Schreibweise mit der Tastatur ändern.
    Am Ende designte ich einen “osmanischen” Kalender als wäre es selbstverständlich, dass es ihn so auf dem deutschen Markt gibt. Das äußert sich auch in der Gestaltung, aber auch in der Vermarktung. Ich habe mich bewusst gegen osmanische Verzierungen entschieden und stattdessen ein einfaches Design genommen. Mein Kalender benötigt keine Mosaike oder extravagante Blumenverzierungen, die man sonst aus der islamischen Kunst kennt. Als ich dann auf Instagram meinen Kalender veröffentlicht habe, habe ich dazu keine ausführliche Beschreibung verfasst, die die Idee hinter dem Kalender erklärt.

Was war der schwierigste Teil beim Aufbau des Kalenders?
      Das Aussuchen der zweiten Sprache, die im Kalender verwendet werden sollte, fiel mir anfangs sehr schwer. Ich kannte bereits meine Zielgruppe: BIPoC, insbesondere mit muslimischem Hintergrund und mit unterschiedlichen Muttersprachen. Ich wollte natürlich niemanden ausschließen. Für welche Sprache entscheide ich mich also? Durch meine Freundin, die an der Universität arabisch lernte, bekam ich mit, dass man im schriftlichen Arabisch die osmanischen Begriffe für die Wochentage verwendet. Da kam es mir recht, dass es sich bei der osmanischen Sprache um eine tote Sprache handelt. Somit konnte ich “alle” abdecken und vor allem niemanden dabei ausschließen.

Was bewegt dich dazu, alles handgearbeitet und nicht als Massenware zu erstellen? Wie wichtig ist es dir handgearbeitet zu arbeiten und nicht produzieren zu lassen?
    Ich habe mich nicht bewusst für die Handarbeit bei meinem Kalender entschieden. Die Auflagen dafür sind so klein, dass es sich so ergeben hat. Alle Kalender werden in Deutschland produziert. Die erste Version hatte ich damals sogar an meiner Hochschule gedruckt.

Dein Kalender für das Jahr 2021 enthielt astrologische Zeichnungen von islamischen Gelehrten aus dem Mittelalter. Wie bist du bei deiner Recherche dafür vorgegangen?
    In einer Online-Bibliothek fand ich ein Buch von Al-Bīrūnī, durch das ich mich durchgeklickt habe. Es war sehr bereichernd, da ich sehr viel Material für meinen Kalender entdeckte. Außerdem hatte ich mal im Galataturm in Istanbul ein Replikat eines Kompasses aus dem Mittelalter entdeckt. So bekam ich vor Augen, wie die Zeichnungen der islamischen Gelehrten in die Praxis umgesetzt wurden.
    Ich hatte zwar schon immer großes Interesse für die Astrologie und besuchte sehr gerne Planetarien. Dennoch kamen mir die Einfälle zu den astrologischen Zeichnungen sehr spontan. Erst danach fing ich mit der Recherche dafür an. Ich arbeite generell sehr intuitiv und aus dem Bauch heraus.

Kannst du dir vorstellen, jedes Jahr diesen Kalender anzubieten? Was sind deine Pläne diesbezüglich?
    Ich zwinge mich jetzt nicht jedes Jahr den Kalender anzubieten. Ich habe also keinen genauen Plan diesbezüglich. Mir ist es nicht wichtig, dass ich mit dieser Arbeit Gewinn mache, sondern vielmehr Spaß dabei habe. Wenn ich in einem Jahr auch nur wenige Anfragen erhalte, freut es mich trotzdem. Mir gefällt es, dass quasi eine kleine Gruppe von Menschen entstanden ist, die regelmäßiges Interesse an meinem Kalender zeigen. Das macht mich sehr glücklich. Es ist fast schon Tradition geworden, worauf die Leute auch tatsächlich jedes Jahr warten.
    So wie ich mich verändere und entwickle, ändert sich auch die Gestaltung. Ich kann durch den Kalender sagen, wo ich im Leben stand. Dieses Jahr ist er sehr simpel, sehr geerdet.

Welchen Creatives folgst du gerne auf Instagram?     Zurzeit folge ich gerne kreativen Menschen aus dem Mittleren Osten wie Kuwait oder Dubai. Die Designszene dort beeindruckt und inspiriert mich sehr. Ich verfolge mittlerweile nicht nur Contents, die mit Grafikdesign zutun haben, sondern vielmehr die allgemeine kreative Szene um mich herum.

Was steht beruflich für dich als Nächstes an?
    Ich hatte nie den Traum, selbstständig zu werden. Ich arbeite zurzeit als Grafikdesignerin in einem Ingenieurbüro, was mich erfüllt. Ab und zu freelance ich noch nebenbei. Durch Instagram erhalte ich allerdings oft Fragen zur Vorbereitung für das Studium an Designhochschulen. Einige konnte ich  erfolgreich beraten, die es dann tatsächlich auch durch die Aufnahmeprüfungen geschafft haben. So kam in mir immer mehr der Wunsch auf, eine Plattform zu gründen, in der ich junge Menschen, die in diesem Bereich Hilfe benötigen, beraten kann.

Mit welchen Creatives würdest du am liebsten arbeiten?
    Wenn ich jetzt Personen nennen muss, fällt mir beispielsweise Bünyamin Aydın ein. Ansonsten würde ich sehr gerne mal in der Interiorszene mitmischen.

Was war die letzte Ausstellung, die du besucht hast?
    Die Ausstellung Machine Hallucinations: Nature Dreams von Refik Anadol in Berlin.

Denkst du, dass Print tot ist?
    Ich stehe zu dieser Frage etwas zwiegespalten. Ich denke, dass du sie einer Nicht-Designerin stellen müsstest. Wir Designer haben nämlich einen Sammelcharakter an uns. Das heißt, wenn ich eine Printausgabe entdecke, die ich unterstützen möchte, kaufen ich diese auch. Daher würde ich nicht sagen, dass Print tot ist. Dennoch würde ich Magazinen vorschlagen, sich nicht nur auf Print zu konzentrieren.

IG: @sura.grms