Raphael Malik
— Photographer


Der Berliner Raphael Malik @raphaelmalik ist Fotograf, Videograf und vieles mehr. Er beschreibt sich selbst als leidenschaftlichen Nostalgiker, der auf der Jagd nach Kultur ist. Seine Fotografien sind zwar inszeniert, aber übernehmen dennoch eine Dokumentarfunktion. Denn sie sollen vor allem den heutigen Zeitgeist festhalten.


Raphael, was muss man über dich wissen?
    Ich bin Raphaël Malik, Deutschtürke, bewusster Deutschtürke, Fotograf, Videograph, Illustrator, teilweise auch Direktionen von Projekten. Ich bin auf der Jagd nach Kultur und sehr interessiert an Tradition und Zusammenleben von verschiedenen Kulturen. Ich bin auch ein krasser Nostalgiker, was die Lebensart und die Lebensweisen von damals angeht und irgendwie zwischen zwei Welten gefangen. Sitze zwischen den Stühlen, aber nicht negativ gemeint. Ich bin eher auf der Suche.  

Wie bist du zum Fotografieren gekommen?  
   Im Alter von acht oder neun Jahren habe ich meine erste analoge Kamera bekommen. Nachdem ich ein paar Bilder damit gemacht habe, habe ich sie irgendwann beiseitegelegt. Die hing dann auch jahrelang nur rum. Ich war auch schon immer sehr interessiert an Kunst. Das hört sich jetzt doof an, aber ich war zum Beispiel als kleiner Junge auf Tattoos fixiert und fand es immer krass, was für Muster auf Körpern sein können. Ich habe mir alles dazu reingezogen, gezeichnet und mir vorgestellt, was ich mir mal tätowieren lassen würde. Heute bin ich untätowiert.
    In der Pubertät habe ich dann vermehrt Graffiti gemacht. Ich habe nicht sonderlich gut gesprüht, aber bin sehr viel draußen gewesen und habe dort alles verschönert. Bis ich dann von einer gewissen Distanz gestoppt wurde. Da habe ich schon gemerkt, geil, ich produziere etwas, was eventuell bleibt und zeigt, dass ich da bin. Ich hätte es noch ausüben können, aber es wäre für meinen Werdegang dumm gewesen. Dann habe ich gemerkt, dass ich sehr gerne mit Formen und Linien arbeite und mir vorgenommen, Grafikdesigner zu werden.
    Ich habe mein Abitur an einer Schule, die Gestaltungstechnik anbietet, gemacht. Dort habe ich überall reingeschnuppert: Film, Fotografie, Grafikdesign, Illustration oder Animation. Ich hatte zu der Zeit ein paar Hundert Euro übergehabt und habe mir damit meine erste Canon gekauft.
    Dann lag diese Kamera auch wieder nur rum. Ich habe sie damals nur für Schulprojekte benutzt und dann zum ersten Mal richtig ausgepackt, als ich 2015 in Istanbul war. So habe ich gemerkt, dass mir Fotografieren extrem gefällt. Daraufhin habe ich die erste analoge Kamera von meinem Opa genommen und analog fotografiert. Da dachte ich mir: „Das ist endlich etwas Legales und damit kannst du dich auch verwirklichen.“ Obwohl ich auch davor viel dokumentiert habe, bin ich eher mit meinen Istanbulfotos in die Öffentlichkeit gegangen.

Wie hat dich die Pandemie in Sachen Fotografie verändert? Welche Erfahrungen hast du gemacht?
   
Mehrere Monate vor dem Lockdown war ich an meinem Tiefpunkt. Ich war voll gestresst und hasste es, Künstler zu sein. Ich habe nichts mehr hingekriegt und habe auch keine Vision gehabt. Ich wollte einfach an nichts mehr arbeiten. So krass, dass ich wirklich alles über Wochen und Monate liegen lassen habe. Dann bin ich für ein paar Tage nach Paris geflogen. Wir besuchten einen Freund, der dort lebt.
    Und dann lag auf seinem Tisch ein Fotobuch von Hassan Hajjaj. Ich tauschte in dem Moment blicke mit meinem Kumpel aus und wir beide wussten es einfach: Das will ich machen. Denn das ist für mich Kultur. Das hat Mehrwert. Ich hatte nämlich das Gefühl, dass mir genau das in meiner Arbeit fehlt. Bisher war es nur so: Schöne Mädchen knipsen und die Hauptsache war, dass die Farben gestimmt haben. Aber da hat es angefangen, dass ich meinte, ich fange jetzt an, voll in die Kultur reinzugehen. Und dann habe ich meine ersten Shootings gemacht.
    Dort habe ich angefangen, mich meinen südländischen Wurzeln zu widmen. Vor allem der türkischen Kultur, die Kultur meiner Großeltern aus der Türkei und oft auch die Einflüsse meiner türkischen Freunde.
    Und ich glaube, das ist auch sehr wichtig für die Aufklärung innerhalb der Community, um bestimmte Vorurteile aus dem Weg zu räumen und vor allem den Rassismus, der teilweise unter den Kulturen herrscht, obwohl alle relativ gleich sind. Die Vielfalt zu zeigen und vor allem in der Vielfalt zu sein ist mir wichtig, aber das Wichtigste ist, dass ich mich mit meiner eigenen Kultur auseinandersetze.

Welche Rolle spielt die Herkunft in deinem kreativen Schaffen? Bringst du auch deine deutschen Wurzeln mit ein?
   
Ich bin voll gespalten aufgewachsen. Nicht aufgrund von Erziehung, sondern weil mein Kopf darauf nicht klargekommen ist. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt habe ich nicht mal so richtig verstanden, dass ich nicht deutsch-deutsch bin. Ich habe es irgendwann wegen den Lehrern in der Schule gemerkt. Dieses Bewusstsein dafür, dass du eigentlich schon im Kindesalter zu einer Ecke zugeteilt wurdest, hatte ich noch gar nicht.
    Das hat mich viele Jahre, glaube ich, schon sehr krass bearbeitet und in eine Identitätskrise gebracht. Ich habe auf der einen Seite von den Deutschen das Gefühl bekommen, „du bist kein richtiger Deutscher“ und auf der anderen Seite dasselbe Gefühl von den Türken, weil ich kein richtiges Türkisch reden kann.
    Ich dachte immer, ich muss mich positionieren. Ich hatte immer mal Phasen, wo ich der Deutsche war und dann auf einmal der Kanak. So wie man es auch kennt: Sich sehr krass in die Religion flüchten und abkapseln von allem, was nicht konform damit ist. Das ist aber unmöglich, wenn du hier lebst. Aber auch schwachsinnig, weil du dich einfach von einem in das andere Radikale jagst. Und das hat sich mit den Jahren immer gebessert, weil ich mich immer mehr akzeptiert habe und beide Seiten angenommen habe. Ich bin auch sehr, sehr glücklich darüber, dass ich nicht nur eine Kultur in mir trage.
    Die deutsche Seite bringe ich nicht mit ein, weil ich der Meinung bin, dass es keine deutsche Leitkultur mehr gibt. Da gibt es keine richtige Kultur. Ich kenne sie. Ich bin auch an Weihnachten bei meiner deutschen Familie, aber alle wissen, dass ich ein bisschen anders als sie denke. In meiner Kunst geht es mir viel eher darum, mit dem Vorurteil des Ausländers oder Südländers umzugehen und vor allem das plakativ zu zeigen. Bei den Deutschen gibt es keine Probleme. Aber sobald es ein bisschen bunter wird, tauchen oft vermeintliche Probleme für viele Leute in diesem Land auf und das ist mir besonders wichtig zu zeigen.

Du meintest, dass du sehr nostalgisch bist. Was heißt das genau?
    Viel wichtiger ist es, dass du die Tradition einfach nicht vergisst. Es geht gar nicht um religiöse Riten. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Es hört sich immer so böse radikal an, aber Werte und Moral aufrechterhalten und nicht ganz verlieren. Ich glaube, wir sind eine Generation, die sehr schnelllebig ist und sehr schnell aus den Augen verliert, um was es eigentlich geht. Du kannst nicht jeden Tag den Tag leben. Es geht nicht. Dann bist du irgendwann weg vom Fenster. Deshalb auch Nostalgie. Der Nahe Osten bietet einfach eine Fülle von Kulturen. Ich glaube, es gibt außer der Türkei kein anderes Land auf dieser Welt, das mehr Kulturen und mehr Einflüsse beherbergt. Du findest überall etwas und mein Herz schlägt höher, wenn ich mir bestimmte Sachen angucke. Egal, wie altmodisch sie scheinen oder wie albern manche Leute sie heutzutage finden. Gewisse Traditionen musst du aufrechterhalten. Es ist das, was dich ausmacht. Das ist deine Heimat.

Spielt deine Heimatstadt Berlin auch eine Rolle in deinen Arbeiten?
    Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen. Das heißt, dass ich durch Berlin geformt wurde. Und wie gesagt, ich habe auch ganz andere Phasen in meinem Leben. Berlin ist eigentlich voll dreckig, aber das ist schön! Ich komme darauf nicht klar, dass versucht wird, eine glatte Metropole aus der Stadt zu machen. Es funktioniert nicht. Diese Stadt ist und bleibt dreckig.

Dein Projekt: „Between Occident and Orient“ sticht für mich sehr heraus. Was hat es mit der Fotoserie auf sich?
    Das Projekt habe ich nur für mich gemacht. Ich habe dafür einen deutsche Jungen extra in Jalabiya gesteckt. Wollte es sehr plakativ gestalten. Eigentlich wollte ich das auch auf dem Weg weiterführen, aber über die Monate habe ich einfach gemerkt, dass ich das gar nicht mehr so betiteln muss. Meine gesamte Arbeit, die ich gerade produziere, läuft in diesem Space ab. Ich muss nicht mehr diesen expliziten Namen geben, weil die gesamte Arbeit, die ich mache, unter diesen Namen fällt.

Suchst du gezielt nach ästhetischer Inspiration oder lebst du in den Tag hinein?
    Tatsächlich plane ich gar nicht so viel. Es sieht zwar alles sehr geplant aus, aber es ist eher intuitiv. Es kann auch sein, dass ich einen Monat oder so gar nichts mache, weil ich einfach nicht fühle. Und dann sehe ich ein Kleidungsstück und denke mir: Das kann man gut kombinieren mit der und der Person. Ich knipse auch viel rum, das heißt, ich dokumentiere viel in meinem Umfeld. Und da ich mich sowieso in diesen Kreisen bewege, kommen auch oft solche Motive zu zustande.
    Ansonsten sitze ich auch gerne an persönlichen Archiven und versuche die mit neuen Dingen zu kombinieren, egal ob es Gedichte oder Ähnliches sind. Alles kann mich beeinflussen, es müssen nicht unbedingt nur Fotos sein. Es kann auch ein Satz von einem Lied sein. Und dann kommt auf einmal der Gedanke: „Ich muss das jetzt machen“.

Was ist deine Lieblingsfotografie aus deinem Portfolio?
   
Ein Foto von Pronto feiere ich sehr. Es ist einfach das schönste schwarz-weiß Foto, was ich je geschossen habe. Er steht da vor einem Rolls Royce. Und dann natürlich die letzten Fotos von Ceyda. Dann die Fotos in Istanbul von dem alten Mann, der auf der Brücke fischt. Oder eben die Fotos, wo ich Leute heimlich beim Beten fotografiere.

Welche Person hast du am liebsten fotografiert und warum?
    Ich habe ein Instagram-Post zur Feier des 60. Jahrestages der Gastarbeiter*innen gemacht, wo man einen deutschen Pass am Anfang sieht. Die verschiedenen Menschen zu shooten hat sehr Spaß gemacht. Sie machen dieses Land aus.
    Solange die Personen open minded sind, sind die Shootings immer geil. Ich quatsche dann auch mit denen. Ich will mehr über sie erfahren. Wenn ich in Istanbul bin, bin ich immer gezielt auf Motivjagd. Ich will nicht, dass die Menschen mich dabei bemerken.

Hast du dir irgendwelche persönliche Regeln oder kreative Richtlinien festgelegt?
    Ich liebe einfach das Dokumentarische. Das hat mich auch immer an Straßenfotografie fasziniert, weil diese Fotos am geilsten und echtesten die Zeit widerspiegeln. Ab dem Moment, wo ich jemandem sage, dass ich ihn fotografiere, ist es nicht mehr zu 100 Prozent echt. Und jeder, der von mir fotografiert wurde, weiß, dass ich immer sage, dass sie neutral gucken sollen. Ich will kein Gesichtszug sehen. Es kann angebracht sein, wenn es um eine bestimmte Kampagne geht, aber ansonsten nicht.

Könnte man sagen, dass diese Vorgehensweise dein persönlicher Stil ist?
       Mein Stil hat sich über die Zeit verändert. Heute würde ich ihn als dokumentarisch-inszeniert beschreiben. Ich denke, dass Inszenierung dennoch dokumentarisch sein kann. Eine Ceyda ist beispielsweise für mich trotzdem dokumentarisch, obwohl sie bewusst dahingestellt und in diese traditionellen Kleider gesteckt wurde. Es ging dabei um einen Mehrwert und um die Kultur.
    Es ist wichtig, die Zeit zu speichern oder das Zeitgefühl zu dokumentieren. Auf lange Sicht betrachtet, ist Dokumentarfotografie am aussagekräftigsten. Wir leisten einfach Fotogeschichte. Das sind die Sachen, die später angeguckt werden und wenn es nur deine Enkeln sind. Sie werden genauso sagen: „Was wart ihr für Menschen?“. Die werden uns nicht mehr nachvollziehen können, wie wir teilweise unsere Eltern nicht nachvollziehen können.

Was macht ein großartiges Foto aus?
    Ich glaube, dass ich das gar nicht richtig beantworten kann. Es muss eine gewisse Ästhetik haben. Verschiedene Tiefenschärfen gehören für mich dazu. Wenig Schärfe bringt mich oft dazu, dass ich ein Bild ansprechend finde.  Aber im Grunde genommen gibt es dafür keine Regeln. Mich kann alles faszinieren. Denn wenn der Fotograf zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und Emotionen damit transportieren kann, ist das für mich ein krasses Foto. Aber wie gesagt, am meisten ist es so, wenn es wirklich dokumentarisch ist und ich mich hineinversetzen kann in irgendeine Welt, die gerade für mich nicht greifbar ist. Aber so richtige Regeln würde ich nicht aufstellen. Am Ende kann mir etwas nicht gefallen, was dir unglaublich gefällt. Es kann sich aber auch ändern. Mir haben teilweise auch Fotos nicht gefallen, die mir heute unglaublich gefallen, weil ich reifer geworden bin und sich meine Sichtweise geändert hat.

Bist du glücklich als Fotograf?
     Ich glaube, es wird nicht nur bei der Fotografie bleiben. Aber egal, in welchem Job ich lande, ich werde letztendlich immer Fotografie machen. Es gibt mir einen gewissen Seelenfrieden und auch Freude, wenn ich meine eigenen Sachen in der Hand halte. Aber ich kann zum Beispiel nicht sagen, wie es in fünf Jahren aussehen wird. Ich werde bestimmt in diesem Beruf irgendwie bleiben, aber andere Wege werde ich nicht ausschließen.



IG: @raphaelmalik