Melissa Kolukisagil
— Founder of İç İçe Festival  


Melissa (@melissa.selbst) setzt sich nicht nur für ein diversitygerechtes Ausgehen in den Berliner Nachtklubs ein. Sie organisiert mit ihrem Team auch das Festival İç İçe (@itschitsche) für neue anatolische Musik. Bei langjähriger Migrationsgeschichte könne sie nur als ein Teil der deutschen Kultur und Musikszene angesehen werden. Ihre Mission ist daher die anatolische Musik, die auch auf deutschem Boden erschaffen wurde, sichtbarer zu machen.

Melissa, was muss man über dich wissen?
    Okay, all meine Projekte drehen sich irgendwie um die Musikszene, vor allem die in Berlin, aber auch langsam darüber hinaus. Ein sehr wichtiges Projekt – was ich auch gerne mal als mein Baby betitele – ist İç İçe. Daneben bin ich auch Projektmanagerin. Ich leite zurzeit das Projekt Diversitygerechtes Ausgehen in Berlin (DAB), was ein ein Diversity- und Awareness Projekt für die Berliner Clubkultur ist. Hier kann ich Dinge strukturell bearbeiten, die mich umtreiben und Veränderung für Räume herbeiführen, in denen ich mich schon länger bewege.  Es ist eine Arbeit, die mir viel Freude bereitet, weil ich mit sehr unterschiedlichen Akteur*innen der Berliner Club- und Musikszene arbeiten kann. Und dann mache ich ab und zu noch musikjournalistische Tätigkeiten bei Cosmo Radio oder THF Radio.


Ich hätte gedacht, dass die Clubs in Berlin schon divers genug seien. Wie kann man sich denn hierbei deine Arbeit vorstellen? Wie gehst du da vor, um die Diversität voranzutreiben?


Das Selbstverständnis ist auf jeden Fall so und das Bild, was nach außen getragen wird, auch. Es sieht so aus als seien alle gleich, weltoffen und tolerant, aber es gibt eine große Schere zwischen dieser Selbstwahrnehmung und dem, was tatsächlich ist. Es gibt viele sehr unterschiedliche Berichte von Diskriminierungserfahrungen. Diese sind zwischen weiblich und männlich Gelesenen nochmal verschieden: Wir als weibliche BIPoC erleben unangenehme Situationen wie Exotisierung. Aber rein männlich gelesene Kanax kommen noch nicht mal in den Club rein, weil dieses Vorurteil des Stressmachers einfach an ihnen haftet.
Es gibt auf jeden Fall Diskriminierung an der Tür, aber auch Diskriminierung unter den Gästen oder auch innerhalb des Clubpersonals. Es kann also sein, dass sich das Personal diskriminierend gegenüber dem Gast verhält oder die Gäste sich untereinander so verhalten. Und hier hat der Club eine besondere Verantwortung, ein eigenes Team aufzustellen oder Strukturen aufzubauen, die diese Diskriminierungen abfedern und die Betroffenen unterstützen. Oder es gibt wenig Diversität im Team, was aber sehr wichtig ist. Denn das bedeutet, dass am Ende ein diverserer Raum geschaffen wird, der wiederum ein sensibilisiertes Publikum anzieht. Wenn du halt nur weiße Jungs im Team hast, die ihr weißes Booking machen, dann kommt auch nur ein vornehmlich weißes Publikum zusammen, das vielleicht nicht so aware ist und sich dann diskriminierend gegenüber nicht weißen Personen verhält. Ob sie wissen woher die Clubmusik kommt, nämlich aus marginalisierten black and queer Communities, wag ich zu bezweifeln.

Wir arbeiten außerdem in verschiedenen Zeitlichkeiten: Vor dem Clubbesuch, während dem Clubbesuch und nach dem Clubbesuch. Was kann getan werden, um Diskriminierung vorzubeugen, was passiert, wenn es zu einer Diskriminierungserfahrug im Club kommt und wie sähe eine Nachsorge aus für die Betroffenen? Aber auch was kann der Ort lernen.  Das Thema ist super komplex.

Wir arbeiten an einem Fortbildungsprogramm für Clubs. Im ersten Projektjahr wurde ein Konzept für das Fortbildungsprogramm erstellt und im zweiten Jahr haben wir ganz viele interessante Expert*innen eingebunden, damit sie mit uns an diesem Fortbildungsmodul arbeiten und es mit Expertise, eigenen Erfahrungen und Leben füllen. Ende diesen Jahres soll das dann stehen und die ersten Pilot-Orte sollen schon geschult werden.

Wir beschäftigen uns beispielsweise auch mit dem Thema Ausgehen mit Behinderung oder zugeschriebener Behinderung. Und haben uns hier juristische Expertise erstellen lassen. Bei diesem Thema gibt es auch sehr wenig Wissen, aber dafür viele Unsicherheiten auf Seiten der Clubs. Bei einem barrierearmen Club denken sie, dass sie eine Rampe bauen müssen und das war’s. Aber es fängt schon ganz woanders an. Es geht um die Rechtslage aber auch um reines Wissen welche Clubs auch auf ihre Bedarfe eingestellt sind. Diese Informationen wollen wir sammeln und bereitstellen. Außerdem arbeiten wir an einer Informationskampagne für (potenziell) von Diskriminrung Betroffenen, für die wir Materialien erstellen lassen haben, die dann von Betroffenen durch einen QR-Code in sieben verschiedenen Sprachen als Unterstützungsmöglichkeit zur Verfügung stehen.

Dieses Projekt liegt mir total am Herzen und gibt mir auch die Möglichkeit, mich über selbst gemachte Erfahrungen auszutauschen und daran zu arbeiten, dass in Zukunft weniger Diskriminierungserfahrungen in der Berliner Clubkultur gemacht werden müssen.


Kann man sagen, dass ihr mit DAB auf diesem Feld Vorreiter*innen seid?


Es gibt Kollektive und Netzwerke, die auch wichtige Awareness-Arbeit in Berliner Clubs machen. Wir von DAB sind nicht allein auf dem Feld, aber das Projekt, so wie es jetzt ist, ist auf jeden Fall ein sehr spannendes. Eine Diversity-NGO, die seit über 25 Jahren an Diversity-Konzepten für Unternehmen arbeitet, kooperiert mit der Clubkommission und der angedockten Awareness Akademie. So haben wir einen guten Zugang zu den Clubs und das Netzwerk. Dadurch, dass wir zwei unterschiedliche Pools zusammengebracht haben, haben wir das Gefühl, dass wir uns mit unseren Ansätzen und unserem Angebot auf neuem Feld bewegen. Und was aber auch super ist, ist, dass die Clubs am Start sind. Die meisten sind voll motiviert, sich mit den Themen auseinanderzusetzen.


Wie kamst du auf die Idee, İç İçe zu machen?


İç İçe ist auch ein Ausdruck davon, dass ich lange sehr unzufrieden war mit der Berliner Musikszene oder erst einmal nicht gemerkt habe, wie unzufrieden ich war. Ich bin ein bisschen reingerutscht in diese Veranstaltungsbranche und war schon immer sehr gut darin, mich überall anzupassen. Ich habe bestimmte Menschen kennengelernt, die mir auch angesehen haben, wie sehr ich für die ganze Sache mit der Musik brenne und mich dann in diese Arbeit eingebunden haben. Ich habe mich dieser weiß und männlich geprägten Clublandschaft angepasst und mit den vorhandenen Spielregeln gespielt. Das hat eigentlich auch sehr gut funktioniert. In kürzester Zeit habe ich ein Netzwerk aufgebaut und für ein sehr großes beliebtes Festival Booking machen können. Dazu kamen Club- oder auch Konzertveranstaltungen. Irgendwann bin ich mir aber selbst auf die Schliche gekommen und habe gemerkt, dass ich mich nie gefragt habe, was mir eigentlich entspricht.

Ich machte mich dann selbstständig und war aber trotzdem in den alten Strukturen gefangen. Ich habe zwischen den weißen Jungs nicht zuletzt unter der weiblichen Zuschreibung gelitten. Ich durfte quasi mitspielen, musste aber aber immer mehr arbeiten als der Rest. Dazu kamen Zusatzaufgaben wie beispielsweise, dass ich darauf aufpassen musste, dass die Jungs nicht zu betrunken sind. Wenn ich dabei war, gab es sozusagen das Rundum-sorglos-Paket. Und trotzdem wurde ich am Ende immer gefragt, ob ich die Freundin des DJs oder des Veranstalters war.

Irgendwann habe ich mich gefragt, ob es nicht auch anders ginge. Und dann kam einfach eins zum anderen. Ich habe mich an einem Nachmittag hingesetzt und die Idee und das Konzept zu İç İçe waren sofort da. Das ist mir noch nie passiert! Die Location stand sogar schon fest. Und alles ist am Ende genauso eingetreten. Die Vision hatte sich also erfüllt sozusagen und das macht mich wahnsinnig glücklich. Und gleichzeitig habe ich auch die Möglichkeit, in Sachen Wertschätzung und Bezahlung es etwas anders zu machen. In der ersten Zeit, wo ich in der Musikszene unterwegs war, habe ich mich nämlich wahnsinnig selbst ausgebeutet und ausbeuten lassen. Nun konnte ich ein eigenes Team zusammenstellen, das zu meiner Vision passt. Ich kann sie fair bezahlen und uns gleichzeitig Raum für Wachstum geben. Das motiviert mich sehr.

Welche Erinnerung ist dir von eurem ersten Festival 2021 geblieben?
    Es war sehr schwer in einer pandemischen Lage etwas zu starten. Wir mussten einige Male das Datum für das Festival verlegen. Aber als wir dann endlich durchstarten konnten, war das Feedback einfach herzerwärmend. Es war faszinierend zu sehen, wie alles Erdachte sich nach und nach erfüllte. Du weißt ja nie, was du in die Welt so ausstrahlst und wen es anspricht und wer am Ende kommt. Aber als das Publikum am Festivaltag endlich dastand, fand ich sie so sympathisch und ich muss sagen, sie machten alle so toll mit! Da das Festival wegen starkem Regen doch drinnen stattfinden musste, stand eine Maskenpflicht an. Auch Getränke durften nicht mitgenommen werden. Eine Horrorvorstellung für ein Festival, die wirklich aller widrigsten Bedingungen! Und trotzdem waren alle verständnisvoll und so dankbar. Und dann gab es diese eine Situation: Da haben sich alle plötzlich an den Händen gefasst und getanzt und in dem Moment waren alle Strapazen und Unsicherheiten weg, sie wurden weggetanzt yani.
    Und ich glaube ein Highlight war dann noch, das Feedback hinterher. Die ganzen Nachrichten von Freunde*innen oder von Unbekannten. Das İç İçe-Postfach war voll mit Liebesbriefen, in denen Leute erzählt haben, wieviel Spaß sie hatten und wie wichtig es für sie war. Irgendwann haben wir kapiert, dass das alles passiert ist und es den Leuten gefallen hat. Und das hat uns als Team immens motiviert weiterzumachen.

Was ist die Philosophie dahinter? Welche Ziele verfolgt ihr?
    Eigentlich ist das Ziel, einen Raum zu schaffen, der für Leute wie dich und mich funktioniert. Wir sind immer von den Gegensätzen zermalmt worden irgendwie. Auf der einen Seite gab es die türkischen Hochzeiten, wo Safiye Teyze ständig fragt, wann man endlich heiratet, und auf der anderen Seite gab es die weißen Clubs, wo du abgecheckt oder blöd kommentiert wurdest. Der Wunsch war also, dass es einfach einen Raum gibt, der vom Austausch lebt, wo wir mit all unseren Gemeinsamkeiten und Besonderheiten wertgeschätzt werden. Die anatolische Kultur wurde viel zu oft weggepackt und konnte nur hinter verschlossenen Türen gefeiert werden, aber eigentlich gab es diesen Austausch schon immer. Die deutsche Dominanzgesellschaft erkannte lange diese Musik, die auch teilweise auf deutschem Boden geschaffen wurde, nicht an. Sie mögen mit den Instrumenten, den Sprachen geschaffen worden sein, die damals aus dem anatolischen Raum mitgebracht wurden, aber sie sind genauso Teil der deutschen Kultur und deutschen Musikszene. Mit İç İçe wurde also ein Raum geschaffen, in dem anatolische Musiktraditionen auch als ein Teil der deutschen Kulturlandschaft gefeiert wird.

Musik spielt eine wichtige Rolle in deinem Leben. Welche Musik hörst du privat am liebsten?
    Eigentlich komme ich aus der Rock- und Indiemusik. Aber als ich nach Berlin gezogen bin, habe ich mich in der Clubmusik verloren. Seit İç İçe vergeht keine Woche, ohne dass ich nicht noch eine*n coole*n Künstler*in entdecke, die auch auf das İç İçe Festival passen würde. Seit zwei Jahren nimmt das auf jeden Fall viel Raum ein und ich bin total dankbar dafür.
    Aber ich habe schon immer einen sehr breit angelegten Musikgeschmack. Mein Musikhörverhalten hat sich in den letzten beiden Jahren sehr verändert. Davor habe die ganze Zeit Musik von weißen Dudes gehört oder auch Bücher von weißen Dudes gelesen. Das ist abgefahren, denn nichts läge mir gerade ferner. Zurzeit höre ich gerne West African influenced Pop Music wie Tems oder Amaarae. Außerdem Künstler*innen, die so etwas wie contemporary R&B, Experimental Pop und Soul wie z.B. SAULT machen, was mich nochmal anders berührt. Oder andere britische Musiker*innen of Colour wie Eliza, Tirzah und Ojemine. Oh und gerade bin ich auf Erika de Casier aus Dänemark hängengeblieben. Hierzulande schätze ich Wa22ermann und Nalan sehr.
   
İç İçe scheint dich also auch persönlich sehr beeinflusst zu haben.
    Es beeinflusst sich eher gegenseitig. İç İçe ist ja auch nicht einfach so entstanden. Das kam aus mir so raus, weil ich schon irgendwo am Anfang des Weges war. Aber dieser Einfluss hilft mir auf jeden Fall tiefer einzutauchen. Vor İç İçe hatte ich schon ein Netzwerk, aber das war dann nicht mehr so viel wert für das, was ich vorhatte. Dann habe ich nochmal von vorne anfangen müssen, habe aber das Gefühl, dass es schnell fruchtet und seinen Weg geht. Das Beste an meiner Arbeit: Ich lerne richtig tolle Menschen kennen. Heute Morgen war ich zum Beispiel bei der Hauptkuratorin von 48 Stunden Neukölln eingeladen, weil sie auch eine weibliche Person of Color ist und Lust hatte, sich auszutauschen. Das Netzwerk, was ich jetzt habe, entspricht mir viel mehr. Ich habe das Gefühl, dass ich überhaupt nicht allein bin in diesen Prozessen. Es ist ähnlich wie mit deinem Magazin. Du willst nichts anderes, als ich. Ob du jetzt ein Magazin hast oder ein Festival. Das Divan Magazin ist auch İç İçe und İç İçe ist auch voll Divan. Ich finde es faszinierend, wie viel man voneinander lernen kann. Und wie schön es ist, die eigenen Visionen in anderen Projekten wiederzuerkennen.

Wie sieht dein typischer Arbeitsalltag aus?
    Ich versuche meine Woche aufzuteilen. Ich fange immer mit meinem Diversity Job bei DAB an und höre mit meinem Festivaljob auf. Die Arbeit zum Festival läuft aber eigentlich die ganze Zeit. Ich lese mir ständig Sachen durch oder treffe mich abends mit Vertreter*innen von ähnlichen Projekten und Musiker*innen zum Austausch. Ich wache mit İç İçe auf und gehe eigentlich damit auch wieder zu Bett. Auf Instagram stoße ich dann beispielsweise auf eine*n Künstler*in und höre mir die Musik an und bleibe drauf hängen. Ich mache zu keiner Zeit meine Ohren oder meine Augen zu.
    Und am Freitag um elf Uhr sind wir İç İçes immer zusammen. Versuchen dann auch den ganzen Tag zusammen zu arbeiten. Jetzt haben wir wieder für einige Monate ein Büro, wo wir uns treffen. Das Team ist auch so nice und divers. Wir sind ein Mix von türkisch, albanisch, deutsch, kurdisch und auch türkisch-türkisch. Einer von uns kommt nämlich aus Istanbul. Ja, es ist sehr schön und wichtig, diese verschiedenen Perspektiven und Zugänge zu involvieren.

Du warst eine lange Zeit in Mexiko. Wie hat dich dieses Land (musikalisch) geprägt?
    Das war das erste Mal, dass ich mir so etwas gegönnt habe. Ich habe mir davor noch nie eine Auszeit genommen. Ich dachte immer, ich bin zu arm für Reisen. Aber letztendlich geht es darum, ob man sich etwas gönnt oder nicht.
    Es war aber auch nicht wenig anstrengend. Mexiko ist eines der wenigen Länder, die noch nicht einmal ein Schnelltest zum Einreisen verlangen. Dementsprechend war die Erkrankungsrate hoch, was mich am Anfang sehr belastet hat. Ich hatte mir also eine Auszeit genommen, aber im Endeffekt habe ich wieder viel gearbeitet. Zum Ersten Mal war ich raus aus meinem Alltag, zum ersten Mal erlebte ich den Sommer als hier Winter war. Ich hatte plötzlich wieder ausreichend Schlaf und auf einmal waren da diese ganzen Ideen.
    So ist auch die Idee zu Biz Bize entstanden. Biz Bize soll eine Community Veranstaltung werden. İç İçe steht ja für das Zusammensein, aber ich hatte noch den Wunsch einen Raum zu kreieren, der noch intimer ist, um so auch den Schwerpunkt auf BIPoC-Perspektiven zu legen und in den Erfahrungsaustausch zu gehen. Wir haben dazu einen Panel Talk zusammen mit Nabila Abdel Aziz geplant. Sie kuratiert das AusARTen-Festival, was ein wichtiger Teil unserer Netzwerkstruktur ist. Nabila und ich haben uns online kennengelernt und waren uns ziemlich früh einig, dass wir uns gegenseitig in unseren Arbeiten unterstützen möchten. So freundeten wir uns an. Wir wollen also einen Talk veranstalten, wo wir verschiedene Aktivist*innen und Künstler*innen einladen, die aus ihren Bereichen sprechen. Wir möchten darüber sprechen, auf welche Hürden wir so stoßen und warum migrantisch-kulturelle Räume einfach gebraucht werden. Dazu soll es noch Musik und eine Performance geben.

Du sprudelst ja vor neuen Ideen.
    Es tut so gut, sich einen Ausgangspunkt erarbeitet zu haben und jetzt das Ganze größer und mobiler denken zu können. İç İçe wird es im September auch zum ersten Mal in Hamburg geben. Wir sind auch mit München und Mannheim im Gespräch. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir mal mit einem Showcase einfach im Club auftauchen. İç İçe ist auf jeden Fall ein Raum, der aber auch bewegt werden kann und hoffentlich weiterhin viele Communities in verschiedenen Orten ansprechen wird.

Ich bin mit anatolischer Musik Volksmusik aufgewachsen. Es gibt da einige Türküs, die mich an meine Kindheit erinnern, weil sie damals von meinen Eltern gehört wurden. Hast du da ähnliche Erfahrungen?
    Auf jeden Fall! Während sie an ihrer Nähmaschine gearbeitet hat, hat meine Mutter viel gesungen. Es gibt definitiv ältere Musik, die mich immer noch sehr berührt wie die von Sezen Aksu, Nalan, Yıldız Tilbe oder Sertap Erener. Von Letzterer hatte ich eine Kassette, die ich immer, wenn ich von der Kita nach Hause kam, angemacht und durchgehört habe. Und erst danach konnte ich essen. Am Ende der Kassette sang sie noch Königin der Nacht, ein Opernstück von Mozart – aber mit ordentlich Darbuka-Klängen darunter. Auch schon ziemlich İç İçe eigentlich!

Was wünschst du dir für die Zukunft der deutschen Festivalszene?
    Ich wünsche mir, dass sich İç İçe etabliert und dass es weiterhin aufregend bleibt. Dennoch soll mit einer Professionalisierung eine gewisse Routine reinkommen, so dass wir als Team gut zusammenarbeiten und auch unsere verschiedenen Visionen entwickeln können. İç İçe soll einfach ein Teil von etwas Größerem verstanden werden. Deshalb stellen wir auch Initiativen und Organisationen vor, die unsere Arbeit inspirieren. Und ich wünsche mir auch, dass es nicht nur diese, sondern ganz viele anderer Räume gibt, die Ähnliches ausdrücken, sodass wir uns gegenseitig inspirieren und stärken können. Es gab bisher noch kein divers aufgestelltes Festival für anatolische Musik in Deutschland. Und das bei 60 Jahre sehr intensiver Migrationsgeschichte! Vielleicht gibt es Menschen, die eine Veranstaltung von uns besuchen und davon inspiriert werden ähnliche Räume oder etwas anderes zu schaffen. Sei es ein postmigrantische Literatur-, Film- oder Theaterfestival. Hauptsache unsere Geschichten werden erzählt. Und egal welche Form es hat, es macht uns stärker. Das gibt uns nämlich das Gefühl, dass es jede*r alles sein kann. Repräsentanz ist immer der Schlüssel, um herauszufinden zu können, was man für sich selbst wirklich möchte. Was nicht gemessen ist an dem, was unsere Familien uns für Möglichkeiten aufzeigen (können) oder was sie oder die Dominanzgesellschaft uns zutrauen, sondern dem auf die Spur zu kommen was wirklich aus uns selbst herauskommen kann.