Julius Matuschik
— Photojournalist
Der Fotojournalist und Dokumentarfotograf Julius Matuschik ist bekannt für die Abbildung von deutschen Muslimen in ihrem Alltag. Im Rahmen eines Praxisfellowships der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) in Frankfurt arbeitet er zurzeit an der Online-Reportage Moin und Salam (@moinundsalam.de) über das muslimische Leben in Deutschland.
Wie bist du zu Fotojournalismus gekommen? Gestartet habe ich mit einer Ausbildung im fotografischen Bereich und währenddessen schon gemerkt, dass ich nicht viele Gestaltungsmöglichkeiten dabei habe. Im Fotostudio war es dann beispielsweise so, dass wir das Licht nicht selbst setzen konnten, da unser Foto-Meister schon alles voreingestellt hatte. Der kreative Spielraum hat mir hier sehr gefehlt. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass ich in der Ausbildung nicht das lerne, was ich lernen möchte. Daher begann ich in Hannover mit dem Studium des Fotojournalismus. Mir war von Anfang an schon klar, dass ich mit meinen Fotografien reale Geschichten erzählen möchte. Da kam für mich eigentlich nur das Studium in Hannover infrage, da es wirklich nur auf Fotojournalismus und Dokumentarfotografie spezialisiert ist.
Hattest du vor deiner Ausbildung bereits Erfahrungen mit Fotografieren?
In ganz jungen Jahren wollte ich eher Dokumentarfilme machen und bin dann später zufällig auf die Fotografie gestoßen. Ich bekam eine Kamera geschenkt und entdeckte ein Fotobuch von Henri Cartier-Bresson, was ich verschlungen habe. Er prägte den Begriff l’instant décisif, was man als den besonderen Moment übersetzen kann. Für ihn gibt es diesen einen besonderen Moment, der eine Fotografie magisch macht. Beim Fotografieren machte ich dann tatsächlich dieselbe Erfahrung und dachte mir, wow, da war er gerade. Auch, wenn ich ihn nicht immer einfangen konnte. Ich merkte, dass man mit einem einzigen fotografischen Bild sehr gut Geschichten abbilden kann. Dafür war nicht immer ein 90 Minuten langer Film notwendig. Außerdem faszinierten mich die Gestaltungsspielräume in der Fotografie. Das Geschichtenerzählen kann sehr gut mit der künstlerischen Gestaltung in Verbindung gebracht werden. Wenn man dazu noch den einen magischen Moment erwischt, kommt dabei ein großartiges Ergebnis raus. So bemerkte ich also, dass ich mit Fotografien genauso gut meine Geschichten, die ich erzählen möchte und von ihnen denke, dass sie erzählt werden müssen, darstellen kann.
Ich stelle mir die Bedingungen für Dokumentarfotografie etwas starr vor, da man dabei die reale Abbildung als Ziel hat. Du sprichst aber von kreativem Gestaltungsspielraum. Kann man also sagen, dass dein Studium viel Raum für Kreativität zugelassen hat?
Ja, auf jeden Fall. Ich fand es sehr beeindruckend, dass wir zu jedem Thema, von dem wir berichten möchten, ein visuelles Konzept entwickeln mussten. Da musste man sich viele Gedanken dazu machen. Mit welcher Kamera setze ich das Konzept um? Fotografiere ich in Schwarz-Weiß oder in Farbe? Welche Bildästhetik möchte ich diesem Thema geben? Jede Geschichte braucht also ein eigenes Konzept. Für mich als Fotograf oder Foto-Künstler war es genauso wichtig, eine künstlerische Identität aufzubauen. Das war damals für mich die kreative Herausforderung. Aber auch, dass wir im Studium die Fähigkeit erlernen mussten, die Realität zu sehen und diese Beobachtung mit der eigenen Bildsprache zu verbinden, die uns ausmacht. Das eigene Profil über die Jahre zu perfektionieren, war nicht ganz so einfach. Ich fand aber die Auseinandersetzung damit so spannend, dass ich ewig studierte.
Im Studium hatte ich außerdem auch viel Zeit, um Projekte zu starten. Mit einem Freund eröffnete ich beispielsweise eine gemeinnützige Galerie oder wir gründeten ein Kollektiv für kulturelle und politische Bildung, für die wir Kunst und Design nutzen, um solche Themen zu bearbeiten. Das Studium ließ also viele eigene Projekte zu und gab uns viel Zeit über eigene Ideen nachzudenken.
Bei mir entwickelte es sich thematisch dahin, dass ich meine Arbeit vor allem mit gesellschaftlichen Entwicklungen in Verbindung brachte. Ich möchte die Vielfalt, die wir gesellschaftlich in Deutschland vorfinden, darstellen und die Menschen dafür auch sensibilisieren. Ich finde, dass diese Vielfalt in den Medien zu wenig abgebildet wird, und das möchte ich ändern.
Wie ist Moin und Salam entstanden?
Ich wollte während des Studiums vor allem Geschichten aus dem Nahen und Mittleren Osten erzählen, weil ich das Gefühl hatte, dass man zu wenige positive Bilder aus dieser Region kennt. Sie wird vielmehr mit Krieg und Terror in Verbindung gebracht. Ich merkte nach kurzer Zeit allerdings, dass ich als in Deutschland sozialisierter, weißer Mann eine eigene problematische Brille dabei aufhabe. Daher verschob ich mein Vorhaben auf Deutschland und wollte hier Geschichten liefern, die zu wenig erzählt werden.
So kam es, dass ich 2011/2012 zum ersten Mal zum Thema Islam fotografierte. Ich machte eine Serie zu Moscheen in Deutschland und wollte vor allem zeigen, dass es sich dabei um normale Gebetsräume handelt. Denn zu der Zeit wurde in den Medien oft angedeutet, dass Moscheen Islamisten ausbildeten. Ich fand diese Berichterstattung sehr schlimm, weil es mit dem Islam, den ich kennenlernen durfte, überhaupt nichts zu tun hatte. Ich kann mich bei meinem ersten Besuch in einem islamischen Gebetsraum daran erinnern, wie ich beeindruckt davon war, wie man in eine Dreizimmerwohnung oder Autowerkstatt so viel Spiritualität reinbringen konnte. Nicht nur visuell, sondern auch atmosphärisch. Ich fühlte, dass es ein besonderer Ort war. Als Fotograf fand ich es sehr interessant, das, was ich spürte, auch sichtbar zu machen. Ich sah zum ersten Mal die Vielfalt der Muslime, die es Deutschland nun mal gibt. Einige Imame, die ich kennenlernen durfte, hatten Krawatte und Anzug für die Freitagspredigt an. Andere trugen traditionelle marokkanische Kleidung. Ich fotografierte zu der jeweiligen Moschee auch den Imam, um eben diese muslimische Vielfalt aufzuzeigen. Seitdem bin ich thematisch bei Islam in Deutschland geblieben, so dass ich dazu auch weitere Aufträge bekommen habe.
So kam es zu der Zusammenarbeit mit der AIWG. Anfangs fotografierte ich für sie. Später hörte ich von der Praxisfellowship und machte dort mit. Ich bekam die Gelegenheit, mich wissenschaftlich mit Fotografien über Muslime zu beschäftigen. Moin und Salam ist somit während der wissenschaftlichen Auseinandersetzung entstanden. Ich recherchierte zu Fotografien über den Islam in Deutschland, die vor 100 Jahren gemacht wurden. Da kam mir die Idee von einer Online-Reportage, die im Grunde genommen chronologisch mit Bildern die Geschichte des Islam in Deutschland erzählt.
Wie lief die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Moscheen und Verbänden genau ab?
Mir ist es immer wichtig, dass die Menschen, die ich fotografiere, Vertrauen zu mir aufbauen. Erst mit einer Beziehung zwischen dem Fotografen und den Abgebildeten, werden die Bilder auch gut. Ich habe also vorher immer ein Gespräch mit dem Imam oder dem Vertreter der Moschee gehabt. Somit habe ich von den Besonderheiten in ihrer Gemeinde oder den aktuellen Geschehnissen erfahren, die ich abbilden konnte.
Viele Gemeinden haben leider schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht. Für mich war es daher besonders wichtig, dass ich ihr Vertrauen gewinne und von meinen Ideen und meinem Vorhaben mit den Bildern erzählen konnte.
Wie waren die Reaktionen auf das Projekt?
Hauptsächlich wurden meine Arbeiten zum Thema Islam positiv bewertet. Ich bekam auch immer wieder konstruktive Kritik, für die ich dankbar bin. Mir wurden beispielsweise weitere Gemeinden oder Moscheen vorgeschlagen, die ich unbedingt auch noch fotografieren müsse. So kam ich dazu, Foto-Serien zu machen, die ich noch nicht veröffentlicht habe. Ich fotografierte z.B. Zeitzeug*innen, die die Entwicklung des Islam in Deutschland maßgeblich beeinflusst haben. Aus der Sicht der Bildhistorie bekomme ich sehr gutes Feedback, weil es dazu leider noch nicht genug Material gibt.
Im Internet bin ich aber auch mal auf negative Reaktionen gestoßen. Mir wurde mal vorgeworfen, dass ich aktiv an der Islamisierung Deutschlands mitarbeite. Solche Reaktionen zeigen mir allerdings, dass meine Fotografien auch die Menschen erreicht haben, die ich auch erreichen wollte. Daher finde ich auch solche Kommentare hilfreich.
Wenn es weiter so gut läuft: Wo siehst du Moin und Salam in einigen Jahren? Was ist für die Zukunft geplant?
Moin und Salam ist ein befristetes Projekt. Es folgen noch zwei weitere Kapiteln und danach ist es auch schon zu Ende. Wir wollen mit diesem Projekt vor allem junge Menschen, aber auch Lehrer*innen erreichen. Die Jugendlichen können sich quasi im Internet durch die Geschichte des Islam in Deutschland durchklicken und die Lehrenden können das Material in ihrem Unterricht nutzen.
Aus diesem Projekt sind allerdings weitere Arbeiten entstanden. Im Laufe der Zeit habe ich viele Fotograf*innen mit muslimischem Hintergrund kennengelernt, die ebenfalls zu meinem Thema gearbeitet haben. Daraus sind bei ihnen, aber auch bei mir, viele Fotos entstanden, die im privaten Archiv gelandet sind. Daher haben wir ein gemeinsames Archiv erstellt, um die Fotografien zugänglich zu machen. In erster Linie sollen sie als Inspiration für eine andere Darstellung des muslimischen Lebens in Deutschland dienen. Sie können aber auch für Berichterstattung oder Ähnliches angefragt werden, wenn das Vorhaben transparent dargelegt wird. Wir achten da beispielsweise darauf, welche Zeitung die Bilder wofür nutzen möchte etc. Für mich ist es sehr hilfreich, dass ich auf muslimische Fotograf*innen gestoßen bin, um die Multiperspektivität zu diesem Thema zu gewährleisten.
Was fällt dir dabei auf, wenn du deine Arbeiten zum Thema Islam mit den Arbeiten von den muslimischen Fotograf*innen, die du eben erwähnt hast, vergleichst?
Als ich gerade anfing zu diesem Thema Fotos zu machen, fiel mir auf, dass ich mich vor allem auf die Dinge stürzte, die mir neu und besonders vorkamen. Wie z.B. eine schöne Gebetskleidung, die mich begeisterte. Ich denke, dass viele nicht-muslimische Fotograf*innen dieselbe Erfahrung machen und eher das abbilden, was ihnen exotisch erscheint. Dabei vergisst man aber, weil man sich zu sehr auf das Fremde konzentriert, dass das Ganze in einer deutschen Umgebung und in einem deutschen Kontext passiert. Ich fotografiere beispielsweise nur die Ornamentik im Gebetsraum einer Moschee und vergesse dabei die Fachwerkstraße zu fotografieren, in der sie sich befindet. Es tut sich also eine neue Visualität auf. Nämlich die Verbindung der islamischen Kultur und Kunst mit dem Umfeld hier. Wäre es also nicht viel interessanter, genau das zu zeigen und den Islam in einem deutschen Kontext zu visualisieren?
Es wird also deutlich, dass es immer gut und wichtig ist, ein Thema aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Um sich eben auch nicht in der Exotisierung zu verlieren, was mir leider anfangs passiert ist. Man blendet dadurch aber nur die Realität aus.
Was war der schwierigste Teil bei der Arbeit an Moin und Salam?
Das Schwierige war, dass die Arbeiten zu Moin und Salam in der Pandemie stattgefunden haben. Auf der einen Seite war es besonders, da ich schauen konnte, wie sich eine Pandemie auf eine Religionsgemeinde und ihre religiöse Praxis auswirkt. Auf der anderen Seite habe ich leider die Begegnung der Menschen miteinander verpasst.
Der erste Tag, an dem ich für Moin und Salam anfing zu fotografieren, war auch der erste Freitag im Ramadan während des Lockdowns. Ich war in einer Moschee und der Imam hat die Freitagspredigt quasi nur vor mir gehalten. Ich war der einzige Mensch, der mit ihm im Raum war und er sprach in seine Handykamera zu seiner Gemeinde. Er meinte zu mir, dass es normalerweise am ersten Freitag im Ramadan bis auf die Straße voll wäre. Es hat sich aber gleichzeitig auch wie ein Privileg angefühlt, das miterleben zu dürfen.
Wie würdest du das Medium Fotografie definieren?
Für mich ist das Besondere an der Fotografie, dass man mit einem Bild Geschichten erzählen kann. Es ist zum einen ein Abbild der Realität und zum anderen kann man als Fotograf*in auch so viel in das Bild reinsetzen, zusätzlich zu der Realität. Wie beispielsweise die eigene Haltung, die eigene Perspektive und die eigene künstlerische Handschrift. Es steckt also in diesem einen Foto so viel, dass gleichzeitig mehrere Erzählmöglichkeiten entstehen. Ein Bild kann somit nicht nur auf rationaler Ebene etwas aussagen, sondern auch auf emotionaler Ebene, weil es auch unterschiedliche Gefühle auslösen kann. Es sind so viele Ebenen, die in der Fotografie aufeinandertreffen. Das macht es so magisch für mich.
Kannst du dich noch an dein erstes selbst geschossene Foto erinnern?
Bevor ich den Plan hatte, Fotograf zu werden, verbrachte ich eine Zeit lang in Marokko. Ich hatte grad eine Kamera geschenkt bekommen und somit auch die Gelegenheit, sie zu testen. Ich fing einen besonderen Moment ein, in dem das Licht auf eine Gasse fiel, durch die jemand gerade durchlief. Das Licht und die Architektur, die ich dabei sah, lösten ein Glücksgefühl in mir aus. Da dachte ich mir, dass es diese Momente tatsächlich gibt und ich sie mit einem kleinen Kasten aufnehmen kann. Das war auch der Moment, in dem ich mich quasi vom bewegten Bild verabschiedete. Ich habe das Foto leider nicht mehr, aber es ist immer noch in meinem Kopf gespeichert.
Welche Fotografie hängt in deinem Büro/Zuhause? Ich tausche sehr gerne Bilder mit Freund*innen, aber auch mit Fotograf*innen, denen ich mal begegnet bin, aus. Es handelt sich dabei vor allem um Fotos, die mich auf eine besondere Weise berührt haben. Ich sammele sehr gerne Bilder, zu denen ich eine persönliche Beziehung habe. An meiner Wand hängen also ganz viele Fotografien.
Wer ist dein Lieblingsfotograf*in?
Da gibt es mehrere Fotograf*innen, die mich mit ihrer Arbeit sehr berührt haben. Wie beispielsweise Cihad Caner, Rineke Dijkstra, Alec Soth oder Martin Kollar.
Welche Bedeutung hat Instagram für dich?
Ich habe mir damals als der Hype um Instagram kam ein Account angelegt, auf dem ich gelegentlich Schnappschüsse, die ich mit meinem Handy gemacht habe, hochlade. Da kann es auch mal sein, dass monatelang nichts auf meinem Profil passiert, bis ich auf Reisen bin. Ich mache dabei viele schnelle Bilder, für die ich nicht unbedingt meine Kamera rausholen würde. Ich wundere mich immer noch, wie ich so um die 800 Follower gekommen bin.
Erst durch Moin und Salam habe ich allerdings Instagram als Medium schätzen gelernt, weil hier ein sehr guter Austausch über Fotos mit anderen Menschen entstehen kann. Das fand ich besonders interessant, wenn man über historische Fotografien spricht. Ich war beeindruckt, wie viele Direktnachrichten ich dazu bekam. Ich finde es aber auch interessant, wie man Geschichten über Instagram erzählen kann, wie es auf dem Instagram-Kanal von Moin und Salam geschieht.