Elif Çelik
— Artist
Elif Çelik @eelif.cel studiert Freie Kunst in Stuttgart und ist bekannt für ihre mundlosen Figuren. Das ist nicht nur ihr Stil als abstrakte Künstlerin, sondern gleichzeitig auch ihre Haltung. Die fehlenden Münder stehen für die Sprachlosigkeit. Sie möchte sich in der Gesellschaft nicht mehr für das, was sie ist, rechtfertigen.
Elif, erzähl uns etwas von dir. Was muss man über dich wissen?
Ich bin in Ulm geboren und aufgewachsen. 2016 bin ich nach dem Abitur nach Stuttgart gezogen und habe mit dem Kunststudium angefangen. Allmählich bin ich im elften Semester und werde wahrscheinlich im Sommer mein Diplom machen.
Wie nennt sich dein Studiengang?
Bildende Kunst oder Freie Kunst. Das Studium ist so aufgebaut, dass man in den ersten zwei Semestern im Grundstudium ist. Es gibt so genannte Klassen, in denen man sich erst einmal orientieren kann. Im Anschluss bewirbt man sich in der Fachklasse für eine bestimmte Kunstrichtung, die man für sich ausgewählt hat wie beispielsweise Malerei, Bildhauerei oder Fotografie. Und ich entschied mich für die Malerei.
Was motiviert dich, täglich Kunst zu machen?
Täglich Kunst machen ist so eine Sache. Ich mache gar nicht täglich Kunst, die man direkt sehen kann. Das heißt, ich male tatsächlich nicht jeden Tag. Aber dennoch mache ich jeden Tag Kunst und zwar im Kopf, indem ich mir im Alltag spontan Inspirationen hole. Wenn ich im Museum bin, kann das passieren oder auch in Gesprächen. Ich arbeite dann automatisch für die Kunst sozusagen. Und deswegen würde ich sagen, dass meine Alltagssituationen eine Inspiration für mich sind. Und das reicht irgendwie dann auch aus, um ständig Kunst zu machen.
Wann hast du angefangen zu malen?
Das Malen kam tatsächlich erst im Studium auf. Anfangs war es für mich eher eine Orientierungsphase. Ich wusste zwar, ich habe da was in mir, was ich zeigen möchte. Aber es hat mich dann fünf Semester gekostet, bis ich mir sicher war, was ich eigentlich mache.
Vor allem als Frau mit Kopftuch ist das gar nicht so einfach für mich gewesen. Ich war relativ jung. Ich wurde ins kalte Wasser geworfen, kann ich sagen. Und ich wusste auch gar nicht, wie ich mit meinem Thema zum Publikum gehen soll. Also, die Tatsache, dass man Diskriminierung erfährt, dass das der Alltag ist. Und dann bist du halt auch noch in einem Umfeld, wo die Mehrheit dieser Menschen diese Welt überhaupt nicht kennt. Und dann musst du halt eine Lösung finden, wie du am besten die Sache erklärst und darstellst.
Ich sehe auch, dass du gerade im Atelier bist, was ich bereits aus deinem Instagram kenne. Hast du ein ganz wichtiges Tool, womit du tagtäglich arbeitest?
Man hat ja immer die malerischen Werkzeuge. Dazu ist Musik sehr wichtig. Ohne Musik kann ich irgendwie nicht malen. Erst dann bin ich im Malprozess. Sie ist da für mich einfach ein Aspekt der Freiheit. So kann ich auch alles rauslassen, was in mir ist. Meine Musikbox würde ich also sagen.
Deine Werke wirken etwas mystisch. Die Figuren sind oft in einem gebeugten und sitzenden Zustand. So interpretiere ich es zumindest. Stört es dich, wenn Leute versuchen, deine Kunst zu entschlüsseln?
Also, ich finde das eigentlich ziemlich spannend. Das ist auch die künstlerische Freiheit, von der man immer spricht, aber in Bezug auf den Betrachter eben. Und ich gebe auch gezielt keinen Titel für meine Arbeiten bzw. sehr selten, weil ich keine Grenzen setzen möchte. Ich arbeite sehr intuitiv aus dem Gefühl heraus. Deswegen finde ich es auch sehr spannend, wenn man direkt aus dem Gefühl heraus eine Meinung zu meinem Werk hat.
Es hat aber tatsächlich nichts mit Mystik zu tun. Der Grund, weshalb meine Figuren fast schon gummiartig, anatomisch inkorrekt sind, ist, dass ich versuche darzustellen, wie wir durch eine ungesunde Haltung versuchen, uns an die Gesellschaft anzupassen.
Es hat natürlich auch einen ästhetischen Aspekt. Das ist einfach mein Stil. Ich möchte nicht realistisch darstellen und damit es näher an der Abstraktion ist, versuche ich meine Figuren zu verändern.
Durch die Verwendung von Farbschichten neigt dein Stil bei Porträts dazu, Gesichtsmerkmale zu verdecken. Die Münder sind beispielsweise selten abgebildet. Wie erstellst du die Gesichter in deinen Werken und warum auf diese Art?
Ursprünglich sind das Selbstbildnisse gewesen. Ich habe mich anfangs dafür entschieden, die Figuren geschlechtslos darzustellen, sodass gar keine Merkmale zu erkennen sind, damit sich so viele Identifikationen wie möglich erstellen lassen.
Und der Grund für die fehlenden Münder ist einfach die Sprachlosigkeit. Erstens möchte ich mich in der Gesellschaft nicht mehr für das, was ich bin, rechtfertigen. Zweitens möchte ich auch nicht direkt gehört werden bzw. mir fehlt der Raum, um mich zu äußern. Mir wird sozusagen der Mund, also meine Sprache weggenommen. Für mich sind dadurch meine Figuren zum Ventil für die Kommunikation geworden. Wie ich ja gesagt habe, möchte ich abstrakte Darstellungen machen und wenn der Mund fehlt - etwas so Relevantes im Gesicht - bist du natürlich näher an der Abstraktion.
Genau so sind eben die Figuren entstanden. Ich hatte am Anfang nur Büsten als einzelne Figuren, die ich dann erweitert und die Körper am Ende ganz dargestellt habe. So sind auch die Haltungen usw. klarer geworden.
Wie ist die Resonanz auf deine Arbeiten? Wie reagieren die Menschen, wenn sie erfahren, dass du als Künstlerin dahinter steckst?
Es ist unterschiedlich. Ich höre sowohl Negatives als auch Positives. Ich hatte ursprünglich mein Gesicht gar nicht gezeigt für eine sehr lange Zeit, weil ich eben nicht auf das Kopftuch reduziert werden wollte. Ich wollte nicht, dass meine Kunst anders betrachtet wird, nur weil man jetzt weiß, dass ich so aussehe, wie ich aussehe. Das hat aber für mich irgendwann nicht mehr funktioniert, weil ich der Meinung bin, dass die Kunst mit dem Künstler zusammen funktioniert. Es steckt ein Mensch dahinter und sie arbeiten miteinander.
Natürlich gibt es auch negative Resonanzen. Viele Menschen sehen durch mich die künstlerische Freiheit eingeschränkt. Ich habe aber auch sehr viel Positives gehört. Ich stehe zu meinem Kopftuch und mache es mir zum Vorteil. Denn ich möchte mir den Raum schaffen und den Platz einnehmen, als die Künstlerin mit Kopftuch, weil das eben nicht absurd ist. Ich möchte diesen Gedanken durchbrechen.
Ich glaube, dass man einfach ein bisschen mehr mehr Mut zeigen muss. Es gibt allmählich viele Frauen mit Kopftuch oder viele Menschen mit Migrationshintergrund in der Kunstszene. Je selbstverständlicher das Kopftuch für uns ist, je weniger man darüber spricht, desto selbstverständlicher wird es auch für die Gesellschaft. Und wenn ich jetzt darauf verzichte, mich zu zeigen, weil ich ein Kopftuch trage, werde ich mir damit ins eigene Bein schießen. Es soll ja akzeptiert und als normal gesehen werden. Und alle anderen Künstler*innen zeigen sich ja auch, außer Banksy, aber das ist auch Banksy.
Deswegen habe ich mich dann eben später dazu entschieden, mich zu zeigen und einfach zu sagen: “Hallo, das bin ich und das ist meine Kunst.” Und für die Leute, die mich dann aufgrund meines Kopftuchs meine Kunst negativ wahrnehmen, sollten auch gar nicht erst meine Kunst sehen. Ich muss nicht jeder Person gefallen.
Fühlst du dich aufgrund deiner “Andersartigkeit” alleine in der Kunstszene?
Ja, auf jeden Fall. Es gibt Tage, an denen ich mich überhaupt nicht angekommen oder verstanden fühle. Das Thema, was ich behandle ist sehr wichtig und heutzutage sehr relevant. Es kommt glücklicherweise immer mehr in der Gesellschaft an und wird in allen Gebieten irgendwie behandelt. Aber in meinem Gebiet ist es noch nicht so weit und deswegen fühle ich mich schon sehr alleine damit.
Das Anliegen bei diesem Thema muss verstanden werden. Aber wenn die Ignoranz der Leute so groß ist, dass sie die Realität überhaupt nicht kennen und auch nicht verstehen, ist es tatsächlich sehr erschöpfend und sehr schwierig. Ich suche mir dann Gleichgesinnte, die das verstehen und mich da unterstützen können. Natürlich bekomme ich dennoch Support von Leuten, die das nicht durchmachen müssen. Aber es ist was anderes, wenn man die Community noch hinter sich hat.
Wie ist die Reaktion deiner Community zu deinem Künstlerdasein?
Es gibt Kanaks, die es ganz komisch finden und sagen: “Du bist wie ein Alman. Ich würde das nie machen. Du musst Geld verdienen.” Für manche ist es sehr absurd, aber die Mehrheit findet es schon sehr cool. Unsere Familien kommen aus einer mehrheitlich niedrigen sozialen Schicht und auch meine Familie war der Meinung, dass ich lieber etwas anderes, sicheres studieren sollte. Und ich glaube, man muss auch verstehen, dass man diese Denkmuster nicht so schnell lösen kann. Wenn ich dann versuche meinen Traum zu verwirklichen, wirkt er für viele absurd. Ich musste mich auch in meiner Familie durchkämpfen, damit sie meine Entscheidung endlich akzeptieren und auch glücklich damit sind. Dazu kam es erst dann, als sie dann auch meine kleinen Erfolge gesehen haben. Als ich dann angefangen habe, Bilder zu verkaufen und dann auch mal kleinere Ausstellungen hatte, haben sie gemerkt, dass ich das kann und einfach glücklich damit bin. Meine Kunst verstehen sie vielleicht nicht zu 100 Prozent, aber das ist glaube ich auch völlig normal, wenn man kein Interesse dafür hat. Meine Eltern kommen nachher noch zu meiner Ausstellung und sind dadurch auch unglaublich stolz auf mich, obwohl Kunst sehr fremd für sie ist.
Wenn ich mir deine Werke anschaue, muss ich an Francis Bacon denken. Bist du mit seinen Arbeiten vertraut?
Ja, er ist eine sehr große Inspiration für mich!
Von welchen Künstler*innen lässt du dich noch inspirieren?
Ich versuche mich von allen möglichen Kunstwerken inspirieren zu lassen, was eigentlich ungeplant passiert. Georg Baselitz und Francis Bacon mag ich sehr gerne. Und dann gibt es auch ein paar zeitgenössische Künstler wie Robert Fry.
Es gibt schon einige Künstler*innen, die ich mir bewusst anschaue, aber ansonsten lass ich mir das Ganze ziemlich frei.
Wie würdest du einem Kind erklären, was Farbe ist?
Farbe ist etwas, womit du alles zeigen kannst. Alles, worüber du nicht sprechen kannst und was du nicht auf eine andere Art zeigen kannst. Alles, was schwierig ist in Worte zu fassen.
Was bedeutet es heutzutage, eine Künstlerin zu sein?
Für mich ist es eher ein Lifestyle. Ich kann es nicht als Beruf sehen. Vielleicht ist unser Bild von einem Beruf falsch. Wir sehen es immer so: Man geht hin, arbeitet acht Stunden und kommt wieder zurück. So ist es für mich auch, wenn ich ins Atelier gehe. Dann muss ich auch einige Stunden malen, arbeiten und schaffen. Aber es ist für mich keine Arbeit, die ich leisten muss und mir dabei denke, “wann gehe ich endlich nach Hause?”. Deswegen würde ich es eher als Lebensstil sehen.
Was bedeutet Erfolg für dich?
Für mich gibt es nicht eine Art von Erfolg. Erfolg ist für mich auch, wenn ich die richtige Farbe anmische oder wenn ich das Bild fertig kriege. Manchmal ist es auch ein Erfolg, wenn ich ein altes Bild übermalen kann, weil es schwierig ist, sich von einem alten Werk zu lösen. Erfolg ist auch, wenn man Kritik bekommt. Das heißt nämlich, man hat jemanden dazu gebracht, sich zu deinem Werk zu äußern, was so intim und persönlich ist. Und natürlich ist es auch ein Erfolg, wenn ich ein Bild von mir verkaufe.
Welchen Rat gibst du jungen Künstler*innen?
Ich bin selber noch am Anfang meines Weges. Ich würde in diesem Fall alle junge Menschen ansprechen, aber BIPoC ganz besonders, weil ich der Meinung bin, dass sie noch mehr Mut brauchen.
Wir müssen raus aus alten Denkmustern und unsere Sicht weiten. Es ist grundsätzlich schwierig für uns, egal, in welcher Berufsbranche wir auch arbeiten. Es wird immer schwierig für uns sein. Und wenn es schon diesen schweren Weg gibt, dann sollte er zumindest zufriedenstellend sein. Und deswegen finde ich, sollte man sich einfach trauen und versuchen. Wir haben nichts zu verlieren.