Apsilon
— Rap Artist


Auf seiner kürzlich erschienen EP Gast rappt der Berliner Apsilon @apsilon_21 über die Zeit seiner Großeltern in Nachkriegsdeutschland, aber auch über die heutigen Lebensumstände von post-migrantischen Menschen. Seine Texte enthalten viele systemkritische Ansichten, die man im Deutschrap nicht oft zu hören bekommt.

Was müssen wir über dich wissen?    
Ich bin Apsilon und heiße mit bürgerlichem Namen Arda. Ich bin in Berlin-Moabit geboren und aufgewachsen, wo ich immer noch lebe. Ich mache seit einigen Jahren Musik und hatte im Oktober mein erstes Release. Die dazugehörige EP ist mittlerweile auch rausgekommen. Meine Texte schreibe ich bereits seit zehn Jahren. Das Rappen kam allerdings erst später dazu.

Deine EP „Gast“ ist gerade erschienen. Viele Zuhörer*innen haben dich erst mit diesem Release kennengelernt. Wie lange hast du an den Tracks von „Gast“ gearbeitet?
    Die letzte Single „Köfte“ haben wir im November 2020 zusammen mit Jan van der Toorn gemacht. So begann auch die Arbeit an „Gast“. Zu der Zeit war ich zum ersten Mal so richtig in einem Studio und machte gemeinsam mit anderen Produzenten Beats. Das waren meine ersten professionellen Session, in denen mein Song entstanden ist. Vorher war es nur einfaches recorden mit Freunden.
    Four Music wurde dann durch einige Demos auf mich aufmerksam. Gemeinsam suchten wir nach Produzenten, die ich cool finde. So kam es zur Zusammenarbeit mit Cato oder Ahzumjot, die einige Songs produziert haben.

„Köfte” ist meiner Meinung nach der krasseste Track der EP. Er ist nachdenklich und  gesellschaftskritischer als viele andere Songs. Was ist die Story zu dem Track?
    In einem Uni-Kurs im Krankenhaus begegnete ich zwei älteren türkischen Patient*innen. Die Kommunikation auf Deutsch war sehr schwierig, so dass ich Übersetzungsarbeit leisten musste. Nach der Behandlung besprechen wir immer gemeinsam mit den Dozierenden und Assistentsärzt*innen die Patientenfälle. Der behandelnde Arzt meinte, dass die Behandlung erschwert wird, wenn die Patient*innen kein Deutsch sprechen. Man müsse alles zehn Mal erklären. Ein Kommilitone sagte daraufhin so etwas wie: „Solche Patient*innen leben schon lange hier und sind selbst schuld, wenn sie die Sprache nicht können.“ Ich fand diese Betrachtungsweise ignorant und erklärte, dass die damaligen Gastarbeiter*innen in der Ausbeutung keine Zeit hatten, um Deutschkurse zu besuchen. Sie waren nie ein erwünschter Teil der Gesellschaft oder haben sich zumindest nie so gefühlt.
    Das war meine Inspiration für den Text. Ich schreibe meine Texte sehr selten in einem Stück. Es entstehen eher Textfetzen, die ich am Ende zusammenfüge. Bei Köfte war es genauso. Ursprünglich war der Song als zwei Teile gedacht, was man am Beatswitch auch erkennen kann. Der zweite Teil ist auch persönlicher. Der Track besteht eigentlich aus zwei verschiedenen Texten, die ich geschrieben habe. Ich dachte mir, dass sie sehr gut zusammen passen und Bezüge zueinander herstellen können.
    Zu Köfte habe ich viele positive Feedbacks bekommen. Viele Leute haben mir geschrieben, dass ihnen der Track nah geht oder sie sich darin sehen und sich mit ihm identifizieren können. Sie fühlen sich gesehen. Das fand ich sehr schön.

In fast all deinen Tracks sind Gesellschaftskritik oder politische Themen enthalten. Auf dem ersten Blick würde jede*r die Musik als etwas Unterhaltendes betrachten. Doch gerade Rap wurde ursprünglich für gesellschaftskritische Themen genutzt. Wie stehst du dazu? Findest du, dass Rap immer politisch sein muss und weniger unterhaltend?
    Das ist eine sehr häufig diskutierte Frage. Was würde man als politisch bezeichnen? Ich würde auf jeden Fall sagen, dass es generell sehr wenige Dinge in unserem Leben gibt, die nicht politisch sind. Genauso in der Musik. Vor allem, wenn sie mit Texten untermalt ist. Sogar klassische Musik hat politische Elemente.
    Hip Hop muss keine politischen Elemente im Sinne einer Gesellschaftskritik enthalten. Aber jeder Song ist politisch, auch wenn es um Straßenrap geht und die Kritik nicht direkt stattfindet. Die Lebensumstände werden hier angesprochen und das ist auch politisch, denn sie sind ein Produkt der Gesellschaft. Wenn Sexismus in den Songs stattfindet, ist das auch politisch. Aber nicht jeder Hip Hop-Song muss gesellschaftskritisch sein.
    Ich würde aber sagen, dass die Genre das so in die Wiege gelegt bekommen hat. In ihr steckt viel Potenzial für die Äußerung von Kritik. Sie erfolgt hier nämlich auf eine authentische Art und Weise durch unterdrückte und marginalisierte Personen der Gesellschaft. Zudem kommt die Textlastigkeit dieser Kunst. So kann man die Wut beispielsweise sehr gut ausdrücken. Deswegen glaube ich schon, dass Hip Hop die Musikrichtung ist, wo man sehr gut Gesellschaftskritik ausdrücken kann. Dennoch finde ich den Ansatz falsch, dass er so sein muss. Sie können auch darüber rappen, wie geil sie sich fühlen oder wie sie Ott ticken. Finde ich alles legitim und höre ich mir auch gerne an, wenn die Musik gut ist.

Glaubst du, dass du deine Hörer*innen durch deine Musik dazu bringst, politisch aktiv zu werden?     Ich hoffe. Dennoch habe ich den Gedanken, dass Musik einen bestimmten Zweck haben muss, abgelegt. Ich liefere keine bestimmte politische Analyse in Form von Musik. So möchte ich nicht an die Sache herangehen. Die Musik sehe ich vielmehr als self-expression und vor allem als etwas, das eine bestimmte Ästhetik haben sollte. Dennoch freue ich mich darüber, wenn ich die Leute dazu inspiriere, die Gesellschaft mit einem bestimmten Blick zu sehen. Wenn sie schon das Gefühl haben, dass in der Gesellschaft etwas Kacke läuft und genau das musikalisch angesprochen wird, merken sie, dass sie nicht allein mit diesen Problemen sind. Vielleicht entdecken sie in der Musik ihre Wut oder Unzufriedenheit und verstehen, dass sie dagegen etwas tun können, indem sie politisch aktiv werden.

Auf dem Track Köfte sind mir zwei Lines aufgefallen, auf die ich näher eingehen möchte:
“Man kann doch ein braver Deutscher sein, wenn man nur möchte.
Doch ich möchte nicht, nein, danke”
Was verstehst du unter einem braven Deutschen?
    Mir geht es dabei nicht um mein persönliches Verständnis von einem „braven“ deutschen Bürger, sondern um das gesellschaftliche Verständnis davon. Der Staat verlangt von seinen Bürger*innen, dass sie brav sind und das wird vor allem von migrantischen Menschen erwartet. Wenn Deutschland sie überhaupt sozusagen rein lässt und nicht kriminalisiert. Dieser Ansatz hängt mit der Integrationsfrage zusammen: Ein deutscher Bürger mit migrantischer Herkunft ist dann brav, wenn er ein vollends integrierter Bürger ist. Hier liegt aber ein Widerspruch vor. Denn das ist überhaupt nicht möglich. Es ist auch nichts Wünschenswertes. Ich sage ja auch am Ende: „Ich integriere mich nicht in euren Markt.“ Es geht mir also eher um die Integration in die deutsche Wirtschaft als Arbeitskraft. Ein braver deutscher Bürger würde sich in den Arbeitsmarkt völlig integrieren. Das empfinde ich nicht als etwas Erstrebenswertes. Die Menschen können gar nicht sagen, dass sie sich nicht integrieren wollen. Es geschieht eher unter gesellschaftlichem Zwang. Und das finde ich nicht gut.
    Mir gefällt es, dass du in deiner Musik eine antikapitalistische Richtung einschlägst. Im Rap kommen diese Themen viel zu kurz. Die Genre selbst ist kapitalistisch. Die Schattenseiten des Systems werden gerade von post-migrantischen Künstler*innen nicht direkt angesprochen, obwohl sie eher davon betroffen sind. Wenn kritisiert wird, geht es vielmehr um Rassismus, der aber mit dem Wirtschaftssystem eng zusammenhängt.
    Ja, genau. Die neoliberale Hip Hop-Mentalität ist weit verbreitet. Sowohl bei migrantischen als auch bei nicht-migrantischen Rapper*innen. Ich habe das Gefühl, wie du auch schon sagst, dass es im Rap eine antirassistische Strömung gibt, aber das geschieht eher durch eine liberale Linse. Dann kommen Gedanken wie „Wir brauchen mehr schwarze Menschen in der folgenden Position“ zustande.
    Dennoch darf man nicht sagen, dass migrantische Menschen die einzig Unterdrückten in Deutschland sind. Die Arbeiterklasse mit deutscher Herkunft ist genauso vom Kapitalismus bzw. von der Armut betroffen. Bei Köfte habe ich versucht, solche Themen miteinander zu verknüpfen. Denn das sind keine getrennten Sachen.


Du schreibst bereits seit 10 Jahren deine eigenen Texte. Wie kommt es, dass wir erst jetzt deine Tracks zu hören bekommen?    
    Ich habe zwar Raptexte geschrieben, aber nie Musik dazu gemacht. Erst vor sechs Jahren hat sich das geändert. Da habe ich angefangen allein oder mit meinen Homies zu rappen. Ich bin nicht in einem Umfeld aufgewachsen, in dem es normal war, dass Leute öffentlich Hip Hop machten. Ich war auf einer naturwissenschaftlichen Schule und spielte Klavier. Da nahm Hip Hop im Alltag keine große Rolle ein. Man wurde sogar eher belächelt, wenn man es versucht hat.
    Ich bereue es nicht, dass ich nicht schon früher meine Musik veröffentlicht habe. Ich denke, dass sie dadurch erst gereift ist und heute eine Qualität besitzt, die mich unabhängig von Feedbacks macht. Heute fühle ich mich sicherer und bin selbstbewusst genug. Vor der Veröffentlichung meiner Musik stellte ich bereits mit einigen Freunden Demos her, zu denen wir auch Videos drehten. Durch diese wurde auch das Label auf mich aufmerksam. Ab da war ich öfter im Studio und produzierte nach einer Weile bessere Songs. Ich wollte mit der Veröffentlichung warten, bis meine Musik eine bestimmte Qualität erreicht hat.


Ich kann mich noch sehr gut an die Geschichte meiner Großeltern erinnern. Wie sie nach Deutschland gekommen sind und mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert wurden. Wie ist es bei dir? Kennst du einige Geschichten von deinen Großeltern/Eltern?
    Zu diesem Thema interessieren mich seit einigen Jahren vor allem Fragen, die in die politische Richtung gehen. Meine Großeltern haben immer eher ihre persönliche Geschichte erzählt, wie früher alles war, wo sie gearbeitet haben usw. Das politische Gefüge hat also nie stattgefunden. Aber mich interessierte gerade dieser Aspekt ihrer damaligen Umstände. Wieviel habt ihr denn eigentlich damals verdient? Wie waren die Arbeitsbedingungen? Wieviel Stunden habt ihr am Tag gearbeitet? Zum Glück sind meine Großeltern noch am Leben. So habe ich noch die Möglichkeit sie direkt auszufragen. Ich schreibe mir ihre Geschichten immer auf, weil es sonst verloren geht. Sie erzählten mir, wie sie von deutschen Ärzten untersucht wurden. Man schaute sich ihre Zähne und Hände an. Sie mussten sich komplett ausziehen. Man versuchte herauszufinden, ob sie für den deutschen Arbeitsmarkt brauchbar sind. Da fing die Unmenschlichkeit schon an. Sie berichteten von ihren engen Unterkünften, in denen sie keine Privatsphäre hatten oder auch von ihren Gefühlen der Einsamkeit während dieser Jahre. Dennoch waren sie zufrieden, dass sie überhaupt Arbeit hatten und Geld verdienten.


Inwiefern haben dich deine türkischen Wurzeln beim Musikmachen inspiriert?
    Sie haben mich vor allem auf einer sprachlichen Ebene beeinflusst. Meinen Eltern war es immer wichtig, dass ich auf Türkisch fließend lesen und schreiben kann. Zu Hause sprechen wir viel Türkisch. Ich lese sehr auch gerne türkische Texte, vor allem Gedichte wie z.B. die von Nazım Hikmet. Für meine Texte waren sie eine direkte Inspiration. Aber auch die türkische Musik aus den 70er und 80er Jahren beeinflussten mich sehr.  

Für deine Art Direction, deine Covers und Musikvideos war das Kreativstudio 27bucks zuständig. Wie war deine Zusammenarbeit und wie wichtig ist es dir in die kreativen Prozesse eingebunden zu sein?    
Bevor ich überhaupt etwas veröffentlichte, machte ich mir eine Liste von den Leuten, mit denen ich unbedingt mal arbeiten wollte. 27bucks war auch auf dieser Liste und die Zusammenarbeit kam dann auch zustande.

Ich lege viel Wert darauf, dass der ästhetische Aspekt die Musik aufwertet und die beiden Ebenen sich ergänzen. Von den Covern bis zu den Videos sollte eine einheitliche Welt gebildet werden. Es macht mir viel Spaß an solchen Arbeiten mit einem Team zusammenzuarbeiten. Mein enges Umfeld wie beispielsweise mein Bruder, aber auch mein Homie und Mitbewohner ist ebenfalls daran beteiligt. Ich bin zwar in diese kreativen Prozesse immer involviert, aber ich vertraue da gerne auf die Erfahrungen der Menschen, die dafür zuständig sind.


Welche Sachen vermisst du im Deutschrap?


Ich höre sehr gerne Deutschrap und möchte mich gar nicht davon abgrenzen. Aber ich finde, dass man vieles in der Szene auch kontrovers diskutieren sollte. Ich feiere viele Künstler wie Luciano oder Kalim. Was ich aber als Konsument im Deutschrap vermisse und daher auch selbst Musik mache, ist die Art von Rapper*innen, die musikalisch etwas Gutes schaffen und dabei einen gesellschaftskritischen Ansatz verfolgen. Da fallen mir Künstler ein wie Dave oder Kendrick Lamar. Oder sogar Kanye West, auch wenn ich ihn teilweise problematisch finde. Was ich in Deutschland vermisse, ist, dass wenn man hier den intellektuellen Rap macht, ist er meiner Meinung nach wieder musikalisch nicht fresh genug.


Wann kommen neue Tracks und können wir dieses Jahr mit einem Album rechnen?


Neue Tracks sind auf jeden Fall dabei, aber ein Album wird dieses Jahr nicht rauskommen. Ich habe noch etwas Ehrfurcht und Respekt davor und möchte mir genug Zeit dafür nehmen.